Eindrücke vom Tanzfestival „IMPULSTANZ“ 2013

HORA WIEN

Eindrücke vom Tanzfestival „IMPULSTANZ“ 2013

Wien ist eine wunderschöne Stadt mit vielen verspielten Ausschmückungen, die paradiesische Illusionen vermittelt. Diese Stadt mit ihrer stets feierlichen Atmosphäre und der leichten Brise welche die goldenen Türmchen umspielt, wird seit 30 Jahren – einen Monat lang – von dem Festival „Impulstanz“ erobert. Annähernd 20 Veranstaltungsorte wurden allein engster Kooperation zwischen dem jeweiligen Choreographen und dem künstlerischen Leiter des Festivals, Ismael Ivo, ausgewählt: Museen, Parks und Theatersäle wie z.B. Odeon, Schauspielhaus, Burgtheater, Volkstheater.

Auch nach drei Jahrzehnten und trotz der Größe des Festivals verspürt man herzerwärmende Experimentierfreudigkeit. Neben reinen Tanzvorführungen werden zahlreiche spannende interdisziplinäre Performances angeboten, die den Besucher zum Nachdenken anregen und ihm neue Erkenntnisse über sich selbst eröffnen. Performances gelten ja schon seit langem nicht mehr als Nebensache, sondern stellen die heutige Ausdrucksform dar und es gibt kaum aktuelle Werke, die nicht irgendwie den Charakter einer Performance aufweisen.

Eine besonders beeindruckende und aufwühlende Performance war für mich jene des französischen Choreographen Jerome Bell mit der Hora-Theatergruppe, deren Mitgliedern jeweils eine besondere mentale Motivation antreibt.

Zu Beginn forderte Bell die Darsteller auf, einer nach dem anderen an die Bühnenkante vorzutreten und jeweils eine Minute still zu verharren. Einfach da zu sein. Sowohl Zuschauer als auch Darsteller fühlten wie Zeit sich dehnte und wieder schrumpfte. Danach ließ Bell jeden Darsteller seinen Namen, sein Alter und seinen Beruf nennen und anschließend sprach jeder – so gut er konnte – über seine Defizite. Schließlich tanzte jeder zu selbst gewählter Musik ein Solo: in 10 ganz unterschiedlichen Tanzdarbietungen kamen 10 verschiedene Temperamente, Energien und Fähigkeiten zum Ausdruck; es reichte von höchst möglicher Individualität bis zu poppiger, banaler Schablonenhaftigkeit.  Abschließend formulierten die Darsteller ihre Meinung über Bells Werk. Einer berichtete, dass es seiner Frau gar nicht gefallen hat, ein anderer, dass es seine Schwester zum Weinen gebracht hatte weil sie das Bühnengeschehen wie das Treiben einer Tierherde empfunden hatte.

War das Theater, Kunst, Freak-Show oder etwas ganz anderes? Es war eine Übung in Realität, schwierig und empathisch, fokussiert und nachhaltig. Trotz meines anfänglichen Unbehagens, berührte es mich zutiefst. Bell erzählte mir später, dass bei der ersten Aufführung, Peter – einer der Darsteller mit Down-Syndrom – statt einer Minute, eine viertel Stunde an der Bühnenkante stehen geblieben war. Seine bloße Anwesenheit strahlte so viel Tiefe und Ewigkeit aus, dass wir ihn gewähren ließen.

Bell erklärte mir, dass ihn nicht die Gruppendynamik interessiere, sondern die Menschen, die er auf eine Bühne stellt und deren Fähigkeit sich durch den Körper auszudrücken. Für ihn sollen Darsteller nur einfach sie selbst sein. Und genau das bot ihm diese Gruppe: keiner verstellte sich weil sie gar nicht wissen wie Verstellen geht.  Bell sah seine Aufgabe darin, so wenig wie möglich einzugreifen um die Darsteller so authentisch wie möglich agieren zu lassen.  Nur gelegentlich würde er ein Detail an der Ästhetik des Auftritts korrigieren. Und tatsächlich spürt man, dass hier nicht manipuliert wurde, dass bell Menschen wirklich gerne beobachtet – gänzlich ohne Voyeurismus, sondern aus der Überzeugung, dass gegenseitige Beobachtung eine grundlegende Metapher für die Beziehung zwischen Kunst und Publikum darstellt.

Das Wiener Festival „IMPULSTANZ“ lässt uns Abstand von uns selbst gewinnen und uns anderen Perspektiven widmen.  Die Straßen in Wien sind breit und schön, die Nächte sommerlich warm aber nicht zu heiß und jeder Tag bietet etwas Neues um die Phantasie anzuregen. Um 22 Uhr treffen sich alle im Burgtheater, trinken Österreichischen Wein, plaudern gemütlich oder tanzen ganz einfach.

Credit: Ursula Kaufmann
Credit: Ursula Kaufmann

Anat Zecharia in Yediot Achranot, Tel Aviv

Deutsche Übersetzung: Alice Baar

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